Bad Gandersheim
Im „Außenkommando Brunshausen“ bei Bad Gandersheim mussten ab Oktober 1944 bis zu 584 männliche Häftlinge Zwangsarbeit leisten. Untergebracht waren die Gefangenen unter katastrophalen Bedingungen zunächst in der ehemaligen Klosterkirche Brunshausen, später in einem Barackenlager. Mindestens 34 Häftlinge kamen ums Leben. Anfang April 1945 wurden 40 nicht marschierfähige Häftlinge erschossen, die übrigen auf einen Todesmarsch getrieben. Heute erinnern vor Ort Gedenktafeln, ein Mahnmal und eine Ausstellung an das Geschehene.
Historische Situation
Bezeichnung
Offiziell wurde das Lager als „Außenkommando Brunshausen, Apparatebau, Werk A“ bezeichnet. Es war ein sogenanntes „Fabrikkommando“, das zum benachbarten Flugzeugwerk der Ernst Heinkel AG gehörte. Es handelte sich um das 79. Außenlager des KZ Buchenwald.
Standort
Das Lager befand sich am nördlichen Stadtrand von Bad Gandersheim, Vorwerk Brunshausen. Die Werkhallen hatte die Heinkel AG von der Bad Gandersheimer Werkzeugfabrik Carl Bruns angemietet. Auf dem ehemaligen Firmengelände in der Hildesheimer Straße 35 befindet sich heute die Auer Lighting GmbH. Die Klosteranlage, in der die Häftlinge zunächst untergebracht waren, befindet sich in Brunshausen Nr. 4-7.
Unternehmen
Ernst Heinkel AG
Zwangsarbeit
Produktion von Flugzeugrümpfen für den Nachtjäger He 219
Gegründet
2. Oktober 1944
Aufgelöst
4. April 1945
Häftlinge
Männerlager
Maximale Anzahl der Häftlinge
584
Ab 2. Oktober 1944 bestand das Außenlager mit zunächst 200 Häftlingen aus Buchenwald. Die durchschnittlichen Lagerstärke lag bei 530 Häftlingen aus 14 Nationen, darunter Franzosen, Belgier, Tschechen, Sowjetbürger, Deutsche und Italiener. Auch von der SS als „Bibelforscher“ kategorisierte Menschen waren unter den Häftlingen. Die meisten Insassen zählte das Lager Mitte November 1944 mit 584 Häftlingen. Mindestens 34 Männer kamen vor Ort ums Leben. Mehrere Dutzend Häftlinge wurden zudem wegen Krankheiten und Entkräftung zurück nach Buchenwald geschickt, wo viele von ihnen starben.
Am 2. April 1945 erging der Befehl zur Auflösung des Außenkommandos. Grund war die näher rückende 9. US-Armee. Der „Evakuierungstransport“ sollte zu Fuß erfolgen. Am Morgen des 4. April 1945 wurden vor dem Abmarsch 40 nicht marschierfähige Häftlinge unter einem Vorwand in das nahegelegene Clus-Wäldchen gebracht und dort auf Befehl des Kommandoführers von der SS erschossen. Die übrigen etwa 450 Häftlinge wurden auf einen dreiwöchigen Fußmarsch getrieben, erst Richtung Prag, dann zum KZ Dachau. Die Überlebenden des Todesmarsches erreichten Dachau am 27. April 1945 und wurden dort zwei Tage später von der US-Armee befreit. Vermutlich erlebten nur 180 bis 200 Häftlinge aus Bad Gandersheim das Kriegsende.
Nach der Kapitulation mussten Einwohnerinnen und Einwohner aus Bad Gandersheim die im Clus-Wäldchen verscharrten Leichen ausgraben und auf dem Salzbergfriedhof beerdigen.
Unterbringung
Die ersten vier Monate verbrachten die Häftlinge in der 1793 profanisierten spätromanischen Kirche des Klosters Brunshausen, das zum 1810 aufgelösten Stift Gandersheim gehörte. Das Gebäude befand sich in einem verwahrlosten Zustand und es herrschten katastrophale Bedingungen vor, insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass trotz des Winters und klirrender Kälte keine Möglichkeit der Beheizung bestand und die Häftlinge auf ausgelegtem Stroh zu kampieren hatten. Im Januar 1945 bezogen die KZ-Häftlinge ein eigenes Barackenlager in der Nähe der Fabrik, doch das brachte keine wesentliche Besserung mit sich, da auch die neuen Quartiere völlig überfüllt und verlaust waren. Vermutlich war das mit ein Grund für den hohen Krankenstand.
„Orte und Räume Deutscher Verbrechen gegen die Menschheit“
Der Fotograf Herbert Naumann hat in den Jahren 2012 und 2013 die ehemaligen Standorte der Außenlager des KZ Buchenwald fotografiert. Die vordergründig dokumentarisch wirkende Fotografie zeigt Orte, die Schauplätze deutscher Verbrechen waren. Die fotografischen Ansichten von Landschaften, Brachen, Grünanlagen, öffentlichen Plätzen, Wohnsiedlungen, Kleingärten etc. liefern zunächst keine oder kaum noch Indizien für das, was hier geschehen ist. Es sind stille und unspektakuläre Bilder mit häufig nur indirekten Hinweisen. Erst der sie begleitende Text stellt den Zusammenhang zwischen den dort begangenen Verbrechen und dem Ort her, lässt in den Bildern die Spuren erkennen, gibt dem Ort seine Identität und nimmt ihm seine Harmlosigkeit. Mit den Fotografien erhalten die Geschehnisse eine neue Aktualität; sie bleiben nicht mehr nur als erzählte Geschichte(n) theoretisch, sondern werden wieder mit dem konkreten, dem erkennbaren, dem realen Ort verbunden.
Die weiteren Bilder von Herbert Naumann finden Sie unter www.herbert-naumann.de.
Heutige Situation
Auf dem Salzbergfriedhof erinnert eine Gedenktafel an die 40 erschossenen Häftlinge aus dem Clus-Wäldchen, die dort 1946 beigesetzt wurden. Die (vermuteten) Opfer sind dort namentlich aufgeführt. Neben dem Rosenrondell beginnt der „Robert-Antelme-Weg“. Dieser wurde 2002 in Gegenwart von Gigi und Pierre Texier eingeweiht und führt bis zur Erschießungsstelle im Clus-Wäldchen. Am Einstieg in den Weg befindet sich eine Tafel mit einer kurzen Lebensbeschreibung von Robert Antelme. An der Erschießungsstelle im Clus-Wäldchen befindet sich ein Holzkreuz mit der Inschrift: „Zu krank für den Abmarsch bei der Auflösung des KZ Brunshausen wurden am 4.4.1945 hier 40 Häftlinge erschossen. Sie liegen auf dem Salzbergfriedhof Bad Gandersheim.“ An der Außenseite des Klosterkirche in Brunshausen befindet sich eine Bronzetafel, die u. a. an die Zeit Brunshausens als Buchenwald-Außenkommando erinnert. Vor der Kirche, auf dem damaligen Appellplatz, ist ein Rosenbeet angelegt, in deren Mitte sich ein großer Findling befindet. Auf einer Bronzetafel an dem Stein ist ein zusammengekauerter Mensch hinter Stacheldraht zu sehen, darunter die mahnende Inschrift „Vergesst nicht“. In den Räumlichkeiten des Klosters Brunshausen ist die Dauerausstellung „Portal zur Geschichte“ untergebracht, die sich mehr mit der mittelalterlichen Bedeutung des Ortes und des „Freien Reichsstiftes Gandersheim“ befaßt. Nur ein kleiner Teil der Ausstellung befasst sich mit der NS-Vergangenheit des Klosters. An der Stelle der Heinkel-Produktionshallen befindet sich heute mit der Auer Lighting GmbH, ein Hightech-Unternehmen der Glasindustrie. Auch wenn sich noch teilweise Gebäudeteile aus der Zeit finden lassen, ist eine nachvollziehbare Betrachtung der damaligen Verhältnisse nur schwer möglich.
Standort des Gedenkzeichens
Kontakt vor Ort
Portal zur Geschichte (PzG) Brunshausen 7 37581 Bad Gandersheim
Telefon: 05382 955647 Internet: www.portal-zur-geschichte.de
Kontakt zum Förderverein Buchenwald
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Literatur
Antelme, Robert: Das Menschengeschlecht (1957). Aus dem Französischen von Eugen Helmlé, München 1987 und Frankfurt a.M. 2001.
Bad Gandersheim, in: Puvogel, Ulrike / Stankowski, Martin: Gedenkstätten für die Opfer des NS, Bd. 1, S. 376ff.
Baranowski, Frank: Bad Gandersheim, in: Benz, Wolfgang / Distel, Barbara: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 374-376.
Baranowski, Frank: Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringen während der NS-Zeit, Duderstadt 1995.
Baranowski, Frank: Rüstungsproduktion in Mitteldeutschland von 1929 – 1945. Eine vergleichende Betrachtung zweier Regionen unter Berücksichtigung des Zwangsarbeitereinsatzes in der deutschen Rüstungsindustrie und der Untertageverlagerung in der Endphase des NS-Regimes, Duderstadt 2007.
Breitenfeld, Victoria / Schmidt, Petra: Im Schatten der Klosterkirche. Der historische Kontext zu Robert Antelmes „Das Menschengeschlecht“, Berlin 2002.
Duras, Maguerite: Der Schmerz. Roman. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé, München 1986.
Le Goupil, Paul / Texier, Gigi / Texier, Pierre: Bad Gandersheim. Autopsie eines Außenkommandos von Buchenwald. Aus dem Französischen von Barbara und Helmut Helmke, Redaktion Anne-Katrin Race, hrsg. Stadt Bad Gandersheim, Bad Gandersheim 2005.
Neander, Joachim: Die Ermordung der „Bibelforscher“ auf dem Todesmarsch des KZ Gandersheim, in: Südniedersachsen, Zeitschrift für Regionale Forschung und Heimatpflege, 27. Jahrgang, 1/1999, S. 7-19.
Quast, Anke: Gandersheim, in: Obenaus, Herbert (Hrsg.): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Göttingen 2005, Bd. 1, S. 591-595.
Schmidt, Petra / Breitenfeld, Victoria: Opfer und Täter in einer Person. Zwei Biographische Skizzen, in: Dachauer Hefte 10 (1994), S. 167 -190.
Andere Quellen
Eine Liste der Ausländer in Gandersheim (1945) liegt im NLA-Staatsarchiv Wolfenbüttel, Akte 17 N Zg. 5/2008 Nr. 262.
Veröffentlicht wurden zudem Informationen und Ergänzungen (insb. zu „Hintergrundinformationen - Bad Gandersheim um 1933“, „Gedenken und Erinnern“ und „Displaced Persons“) von Anne-Katrin Race, Bad Gandersheim 2009.