Wolfen

Im Auftrag der IG Farben und der Filmfabrik Wolfen wurde im Mai 1943 ein Außenlager des KZ Buchenwald in Wolfen eingerichtet. Die bis zu 425 weiblichen Häftlinge wurden zunächst im örtlichen „Ostarbeiterinnenlager“ untergebracht, dann im direkt der SS unterstellten „Sonderlager VI“. Im Februar 1945 wurden 200 Frauen nach Bergen-Belsen deportiert, die übrigen im April 1945 von der SS auf einen Todesmarsch getrieben.

Historische Situation

Bezeichnung

„IG Wolfen“, „Filmfabrik-Sonderlager VI (K.F.L.)“

Standort

Das Lager befand sich an der Nordseite der Thalheimer Straße. Bis zur Fertigstellung des Lagers waren die Häftlinge zunächst im „Ostarbeiterinnenlager“ (angrenzendes Lager II) untergebracht, dann in dem mit Stacheldraht gesicherten „Sonderlager VI“, das direkt der SS unterstand. Dort befanden sich eine Baracke für die Wachmannschaften, mehrere Holzbaracken für die weiblichen Häftlinge und eine Steinbaracke.

Unternehmen

IG Farben, Filmfabrik Wolfen

Zwangsarbeit

Die Frauen mussten in der Zellstoffherstellung arbeiten. Die ätzenden Chemikalien griffen Haut und Atemwege an.

Gegründet

17. Mai 1943

Aufgelöst

April 1945

Die Einrichtung erfolgte nach manchen Angaben schon im März 1943, nach anderen Quellen ab dem 17. Mai 1943.

Häftlinge

Frauenlager

Maximale Anzahl der Häftlinge

426

Der erste Transport mit 250 Frauen und Mädchen aus dem KZ Ravensbrück traf wohl am 17. Mai 1943 ein. Am 1. Dezember 1943 folgen 125 und vermutlich Anfang 1944 weitere 50 Häftlinge, ebenfalls aus Ravensbrück. Eine Liste vom 1. September 1944 enthält 425 Namen, darunter 316 sowjetische „Zivilarbeiterinnen“ (Russinnen und Ukrainerinnen) sowie 100 polnische, sieben jugoslawische, eine tschechische und eine deutsche „politische“ Gefangene. Hinzu kam eine französische jüdische Ärztin, die an diesem Tag aus Auschwitz nach Wolfen gebracht wurde. Zahlreiche Frauen erkrankten an Tuberkulose. Mindestens zwei starben im Lager, viele weitere wurden nach Ravensbrück zurück deportiert.
Neben den KZ-Häftlingen waren von 1939 bis 1945 Fremd- und Zwangsarbeiter:innen aus 19 Ländern in der Filmfabrik Wolfen. Mit 4.629 erreichte ihre Zahl am 1. November 1944 den Höchststand.
Am 18. Februar 1945 wurden die ersten 200 KZ-Häftlinge „evakuiert“ und in das KZ Bergen-Belsen gebracht. Im April 1945 wurden die verbliebenen Frauen des Außenlagers, zusammen mit 115 Französinnen, die vermutlich wenige Tage zuvor aus dem Außenlager Duderstadt nach Wolfen gebracht worden waren, von der SS mit unbekanntem Ziel aus dem Lager getrieben. Zu Fuß und mit dem Zug wurden sie über Pirna in die Gegend von Teplitz gebracht, wo sie von sowjetischen Truppen befreit wurden.

Unterbringung

Die Wohnbaracken waren beheizt und vergleichsweise gut eingerichtet. Da die Frauen in der Zellstoffherstellung mit ätzenden Chemikalien arbeiten mussten, war das Vorhandensein von Duschen besonders wichtig.

„Orte und Räume Deutscher Verbrechen gegen die Menschheit“

51.65951899 12.24217057 SSO Thalheimer Straße, Wolfen 11/2012 © Herbert Naumann
51.65951899 12.24217057 SSO
Thalheimer Straße, Wolfen
11/2012 © Herbert Naumann

Der Fotograf Herbert Naumann hat in den Jahren 2012 und 2013 die ehemaligen Standorte der Außenlager des KZ Buchenwald fotografiert. Die vordergründig dokumentarisch wirkende Fotografie zeigt Orte, die Schauplätze deutscher Verbrechen waren. Die fotografischen Ansichten von Landschaften, Brachen, Grünanlagen, öffentlichen Plätzen, Wohnsiedlungen, Kleingärten etc. liefern zunächst keine oder kaum noch Indizien für das, was hier geschehen ist. Es sind stille und unspektakuläre Bilder mit häufig nur indirekten Hinweisen. Erst der sie begleitende Text stellt den Zusammenhang zwischen den dort begangenen Verbrechen und dem Ort her, lässt in den Bildern die Spuren erkennen, gibt dem Ort seine Identität und nimmt ihm seine Harmlosigkeit. Mit den Fotografien erhalten die Geschehnisse eine neue Aktualität; sie bleiben nicht mehr nur als erzählte Geschichte(n) theoretisch, sondern werden wieder mit dem konkreten, dem erkennbaren, dem realen Ort verbunden.

Die weiteren Bilder von Herbert Naumann finden Sie unter www.herbert-naumann.de.

Heutige Situation

Unterlagen der Wolfener Vermögensverwaltung zufolge wurde das Lager Ende Mai 1945 durch bis dahin dort lebende Häftlinge geplündert und anschließend niedergebrannt. Während die Fundamente der niedergebrannten Holzbaracken 1946/47 entfernt, das Gelände urbar gemacht und nachfolgend als Garten genutzt wurde, erfolgte 1947 der Ausbau der ausgebrannten Steinbaracke für eine Nutzung als Lager und Werkstatt durch einen Korbmacher. Später wurden in dem Gebäude zwei Wohnungen ausgebaut, bis es im Jahre 1993 abgebrochen wurde. Heute gibt es im Stadtgebiet Bitterfeld-Wolfen mehrere Gedenksteine, die an bestattete Fremd- und Zwangsarbeiter:innen erinnern. Auf dem Gelände des ehemaligen „Lager VI“ befindet sich heute ein Baumarkt. Im Umfeld gibt es keinen Hinweis auf das ehemalige Außenlager.

Kontakt vor Ort

FrauenOrte - Frauengeschichte in Sachsen-Anhalt

E-Mail: info@frauenorte.net Internet: frauenorte.net

Kontakt zum Förderverein Buchenwald

Für Fragen, Hinweise oder Ergänzungen wenden Sie sich bitte an:

Förderverein Buchenwald
c/o Tourist-Information
Markt 10, 99423 Weimar

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Literatur

Bode, Herbert / Gill, Manfred: Zwangsarbeiter in der Filmfabrik Wolfen 1939 – 1945. Ihre ökonomisch-soziale Lage und Unterbringung dargestellt mit postalischen Belegen, hrsg. v. Betriebsarchiv des VEB Filmfabrik Wolfen, Wolfen 1982.

Bode, Herbert: Die Entwicklung des Chemiefaserbereiches der Filmfabrik Wolfen von 1935 bis 1945. Aus der Geschichte der Filmfabrik Wolfen, Nr. 59, hrsg. durch die Kommission für Betriebsgeschichte der Zentralen Parteileitung und das Betriebsarchiv des VEB Filmfabrik Wolfen, o.J.

Bode, Herbert / Kühn, Horst: Die Filmfabrik Wolfen - der größte Faserproduzent Europas, hrsg. vom Industrie- und Filmmuseum Wolfen e.V., Wolfen 2004.

Carlebach, Emil / Schmidt, Willy / Schneider, Ulrich: Buchenwald ein Konzentrationslager. Berichte-Bilder-Dokumente, hrsg. im Auftrag der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora, Bonn 2000.

Früholz, Karl: Das System der Zwangsarbeit in den Betrieben der IG-Farbenindustrie Aktiengesellschaft unter den Bedingungen des staatsmonopolistischen Kapitalismus während der Vorbereitung und Durchführung des Zweiten Weltkrieges, Diss., Berlin 1964.

Gehmlich, Hans-Dieter: Es ist gut, solche Freunde zu haben. Polina Schewzowa und Vera Syssojewa – ein Wiedersehen nach 30 Jahren in Wolfen, hrsg. von der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, Betriebsarchiv VEB Filmfabrik Wolfen, Fotochemisches Kombinat Wolfen, 1976.

Menzel, Kurt: Ausländische zivile Zwangsarbeiter in der Zeit der Kriegswirtschaft des Kreises Bitterfeld 1939-1945, besonders in den Werken der IG Farbenindustrie, in: Zur Industriegeschichte der Bitterfelder Region, hrsg. vom Verein der Freunde und Förderer des Kreismuseums Bitterfeld e.V., Heft 10, 2009.

Müller, Brigitte / Proske, Eva-Maria / Weick, Günther: Die Außenkommandos des KZ Buchenwald im Bezirk Halle, Diplomarbeit, MLU Halle-Wittenberg, 1979.

Ragwitz, Renate: Die Frauenaußenkommandos des Konzentrationslagers Buchenwald, hrsg. von der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald 1982.

Schmelzer, Janis: Der illegale Kampf der Antifaschisten in der Filmfabrik gegen Faschismus und imperialistischen Krieg 1933-1945, in: Aus der Geschichte der Filmfabrik Wolfen, Wolfen 1984.

Seidel, Irmgard: Wolfen, in: Benz, Wolfgang / Distel, Barbara: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 618-621.

Wilde, Manfred: Das Häuserbuch der Stadt Wolfen, Kreis Bitterfeld 1550-1990, Schriftenreihe der Stiftung Stoye, Bd. 33, Neustadt an der Aisch 1999.